„Das Leitbild einer sozial gemischten Stadtgesellschaft entspricht in Deutschland nicht mehr der Wirklichkeit“ titelte im Mai 2018 die Wochenzeitung DIE ZEIT, nachdem Ergebnisse einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) ergeben hatten, dass “arme Menschen in deutschen Städten zunehmend konzentriert in bestimmten Wohnvierteln [leben]; auch junge und alte Menschen immer seltener Nachbarn [sind]. „In 80 % von insgesamt 74 untersuchten Städten“ – so eines der Kernergebnisse der Studie – „hatte im Zeitraum 2005 bis 2014 die räumliche Ballung von Menschen, die Hartz-IV-Empfänger sind, stark zugenommen.“ Das FOG-Institut griff die Frage nach einer sinkenden sozialen Durchmischung der Städte auf und wollte am Beispiel Chemnitz zeigen, welche konkreten Formen diese Ungleichverteilung annehmen kann und welche Entwicklungstrends sich dabei in den vergangenen 10 Jahren eingestellt haben.
Die vorliegende Studie „Segregation in Chemnitz – Befunde und Entwicklungen“ befasste sich mit der Segregation ausgewählter Bevölkerungsgruppen innerhalb des Stadtgebietes der Stadt Chemnitz. Residenzielle Segregation im sozialwissenschaftlichen Kontext beschreibt die disproportionale Verteilung von Bevölkerungsgruppen im städtischen Raum und betrachtet dabei jeweils den Wohnstandort der jeweiligen Gruppenmitglieder. Die Studie untersuchte für den Zeitraum 2007 bis 2016/18 auf Basis von 39 Stadtteilen das Ausmaß der Segregation in den Bereichen soziale, demographische und ethnische Segregation. Dafür wurden insgesamt 11 verschiedene Bevölkerungsgruppen in Chemnitz ausgewählt, um anschließend deren Anteile an der Stadtteilbevölkerung mit aktuellsten Daten darzustellen und somit die Segregation in Chemnitz abzubilden und sichtbar zu machen. Mit Hilfe eines Segregationsindexes konnte anschließend das konkrete Ausmaß der Segregation der jeweiligen Gruppen in Chemnitz berechnet und mit Werten bis zurück in das Jahr 2007 verglichen werden. Ein Vergleich der Index-Werte im Zeitraum 2007-2016/18 ermöglicht eine Bewertung der Frage, ob die Ungleichverteilung bestimmter Bevölkerungsgruppen im Stadtgebiet von Chemnitz zu- oder abgenommen hat.
Folgende Kernergebnisse der Studie lassen sich für die verschiedenen Facetten der Segregation in Chemnitz festhalten:
Die soziale Segregation - also jene, die sich mit der Verteilung von Problemlagen beschäftigt – ist in Chemnitz relativ hoch ausgeprägt, v. a. die Bezieher existenzsichernder Leistungen nach SGB II / XII leben stark ungleich verteilt im Stadtgebiet.
Zwei Beispiele: I. Der Anteil an Personen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II oder XII bekamen (umgangssprachlich Hartz IV-Leistungen), war im September 2017 auf dem Sonnenberg 35 mal höher als in Adelsberg. Beide Stadtteile sind Luftlinie kaum mehr als 4 Kilometer voneinander entfernt, dennoch wies der eine Stadtteil einen Anteil von Empfängern existenzsichernder Leistungen in Höhe von 28,2 % (Sonnenberg) auf, während in Adelsberg gerade einmal 0,8 % aller Einwohner SGB II / XII-Leistungen bezogen. Jeder ortskundige Chemnitzer kennt die als Begründung heranzuzuziehenden Unterschiede zwischen beiden Stadtteilen. Vorhanden sind sie trotzdem und gerade mit Konzentrationen von Armut gehen eine Reihe von problematischen Tendenzen einher, die in ressourcenstärkeren Stadtteilen ein Fremdwort sind.
Zweites Beispiel: Die im Süden von Chemnitz angrenzenden Stadtteile Morgenleite und Stelzendorf werden nur durch die Stollberger Straße voneinander getrennt - im Bereich der Arbeitslosenzahlen jedoch liegen Welten zwischen den beiden Gebieten. Im mit 95 % Plattenbausubstanz dominierten Morgenleite lag die Arbeitslosigkeit (gemessen am Anteil der arbeitslosen Personen an allen Einwohnern im Stadtteil zwischen 15 und 64 Jahren) Ende 2016 neunmal höher als in Stelzendorf (13,4 % zu 1,5 %), einem suburbanen Stadtteil mit einer Eigentümerquote von knapp 80 %.
Die Verteilung der Hartz IV-Empfänger im Stadtgebiet gehört zu den am meisten untersuchten Indikatoren auf dem Feld der Segregation. Im September 2017 bezogen knapp 27.000 Chemnitzer und damit 11 % der Gesamtbevölkerung Leistungen nach SGB II / XII. Die Spanne innerhalb der Stadtteile ist immens: die höchsten Anteile verzeichnen der bereits erwähnte Sonnenberg mit 28 % vor Morgenleite (23 %) und dem Zentrum (21 %). Eine Reihe von großen bevölkerungsstarken Stadtteilen folgt mit Anteilen zwischen 15 % und 19 % (Lutherviertel, Kappel, Hilbersdorf, Helbersdorf, Markersdorf, Hutholz) und liegt damit deutlich über dem gesamtstädtischen Wert. Insgesamt wohnen in den fünf Stadtteilen des Fritz-Heckert-Gebiets sowie der Achse Hilbersdorf - Sonnenberg - Zentrum - Lutherviertel insgesamt 57 % aller Chemnitzer SGB II / XII-Leistungsempfänger (15.145 Empfänger von 26.700), obwohl diese neun Stadtteile „nur“ 32 % aller Chemnitzer Einwohner auf sich vereinen (78.000 EW von 247.000 EW). Andere innerstädtisch bzw. urban geprägte Stadtteile, wie Altendorf, Kaßberg oder Bernsdorf, liegen mit Werten von 7 % bis 9 % dagegen unter dem Chemnitzer Mittelwert.
Auf der anderen Seite der Skala existieren 15 Stadtteile, deren Bevölkerungsanteil mit SGB II / XII-Leistungsbezug bei weniger als 4 %, teilweise deutlich darunter liegt. Im relativ großen Adelsberg (6.500 EW) erhielten im September 2017 nur 55 Personen existenzsichernde Leistungen – gerade einmal 5 % der Anzahl des vergleichbar großen Hilbersdorf, wo 1.100 Leistungsempfänger bei 6.800 Einwohnern wohnen. Auch in Rabenstein und Grüna (beide zusammen 10.100 Einwohner) erhielten zusammen nur 208 Personen SGB II / XII-Leistungen. Im vergleichbaren großen Kappel (9.800 EW) waren es mit 1.530 mehr als sieben Mal so viele. Insgesamt 11 Stadtteile weisen Leistungsempfänger-Quoten von maximal 2 % auf. Darunter finden sich ausnahmslos Stadtteile mit hohen Eigentümeranteilen bzw. einer hohen Dichte an Einfamilienhäusern: Grüna, Rabenstein, Mittelbach, Stelzendorf, Röhrsdorf, Kleinolbersdorf-Altenhain, Reichenhain, Klaffenbach (jeweils 2 %) sowie Glösa-Draisdorf, Euba und Adelsberg (1 %).
Segregation ist ein komplexes Phänomen, das viele Gesichter annehmen kann und von denen nicht alle als problematisch oder gar ungerecht interpretiert werden sollten. Dennoch können stark segregierte Städte Stadteile oder -viertel erzeugen, in denen sich Problemlagen bündeln und potenzieren, in denen abweichendes Sozialverhalten normal wird, deren Lebenswirklichkeit benachteiligende Wirkung auf seine Bewohnerschaft entwickeln kann.
Das geringste Maß an Segregation findet sich in der demographischen Verteilung der Bevölkerung, wenn man das Alter der Bewohner („demographische Segregation“) zu Rate zieht.
Vor allem die Gruppen der “Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahre”, der “30 bis 44-Jährigen” sowie die “Familien” (gemessen über “Haushalte mit Kindern unter 17 Jahren”) leben relativ gleichmäßig im Stadtgebiet verteilt.
Zwei Gruppen im Bereich der demographischen Segregation fallen aus dem Raster und leben stärker segregiert: Die „18 bis 29-Jährigen“ und die Rentner bzw. Senioren ab 65 Jahren. Die Gründe für deren ungleiche Verteilung sind jedoch verschieden. Sie liegt einerseits in der Zusammensetzung der Gruppen (18-29 Jahre), andererseits in der wohnungsbaugeschichtlichen Entwicklung von Chemnitz.
Die Gruppe der 18-29Jährigen wurde im Jahr 2016 durch drei außergewöhnliche Faktoren bestimmt: Sie war aufgrund des Geburtenknicks in der Nachwendezeit relativ klein und wurde in nicht unerheblichen Umfang einerseits von Studenten, andererseits von Flüchtlingen und Asylbewerbern gebildet. Diese beiden Gruppen weisen im Vergleich zum Rest der Bevölkerung besondere Wohnstandorte auf: Studenten wohnen zuallererst in Bernsdorf, weiterhin im Lutherviertel und im Zentrum. Dort treffen sie auf den hohen Anteil von Flüchtlingen und Asylbewerbern, deren Hauptwohnort in Chemnitz das Zentrum ist (Mitte 2018 veröffentlichte die Stadt Chemnitz Werte, wonach jeder vierte „Person mit asylbedingtem Zuwanderungsgrund“ im Zentrum wohnte). In der statistischen Folge führt das zu einem Anteil der 18-29Jährigen in Bernsdorf von 32 %, im Lutherviertel von 25 % und im Zentrum von 24 %. Alle weiteren Stadtteile in Chemnitz liegen deutlich unter der 20 %-Marke, 24 davon befanden sich gar im einstelligen Bereich, darunter alle suburbanen Stadtteile mit hohem Anteil an selbstgenutztem Wohneigentum (z. B. Adelsberg und Glösa-Draisdorf mit 5%); Klaffenbach, Stelzendorf, Kleinolbersdorf-Altenhain mit 6 %. Die mit großen Gründerzeitbeständen ausgestatteten Kaßberg, Schloßchemnitz, Sonnenberg und Hilbersdorf verzeichnen Anteile von 17 % bis 18 %; Altchemnitz mit 15 % und Ebersdorf mit 12 % sind die Stadtteile, die dem gesamtstädtischen Wert von 13 % am nächsten kommen. Auch mit großen Plattenbaubeständen versehenen Stadtteile wie das Yorckgebiet oder Markersdorf kommen auf lediglich 7 %; sonst kann für die Stadtteile mit „viel Platte“ bzw. frühen DDR-Wohngebäuden ein Wert von 9 % bis 11 % attestiert werden: Hutholz, Kapellenberg (jew. 9 %), Helbersdorf, Altendorf, Gablenz (jew. 10 %) sowie Morgenleite und Kappel (jew. 11 %) liegen allesamt max. 2 %-Punkte voneinander entfernt.
Bei der großen Gruppe der Rentner in Chemnitz (28 % Anteil) sieht sowohl die Verteilung in den Stadtteilen als auch die Ursache dafür anders aus. Vor allem Stadtteile mit hohem Plattenbauanteil sind überdurchschnittlich oft Wohnstandorte von Rentnern: Im Yorckgebiet sind von den mehr als 7.000 Einwohner 54 % 65 Jahre und älter. In Kapellenberg und Helbersdorf liegt der Rentneranteil mit 45 % bzw. 46 % knapp unter der 50 %-Marke. Auch in den bevölkerungsstarken Gablenz, Altendorf und Kappel (zusammen 37.500 Einwohner) ist mehr als jeder dritte Bewohner jenseits des Renteneintrittsalters. Siegmar, Morgenleite, Markersdorf und Grüna komplettieren die Liste der 10 Stadtteile mit einem Rentner-Anteil von 30 % und mehr. Der Zusammenhang zwischen Bausubstanz und hohem Rentneranteil lässt sich bauhistorisch herleiten - in Chemnitz existiert eine Generation von Bewohnern, die mit Fertigstellung der späteren, ab Mitte der 1960er Jahre in industrieller Bauweise errichteten DDR-Wohngebäude diese bezogen haben und seitdem in diesen Wohnungen verblieben sind. Diese Befunde besonders sind im Yorckgebiet, in Altendort (Flemming-Gebiet) und in Gablenz (Beimler-Gebiet) nachzuweisen. Hohe Rentneranteile, die in den vergangenen Jahren weiter gestiegen sind, lassen sich auch im Fritz-Heckert-Gebiet finden. Innerstädtische Quartiere dagegen weisen unterdurchschnittliche Seniorenanteile auf. Kaßberg, Bernsdorf, Zentrum und Altchemnitz liegen zwischen 20 % und max. 25 %. In fünf Stadtteilen ist nicht einmal jeder fünfte Bewohner ein Rentner: Furth (19 %), Schloßchemnitz (18 %), Hilbersdorf (18 %), Sonnenberg (16%) und Lutherviertel (14 %) bilden ein zusammenhängendes Stadtteilgeflecht und können als das Chemnitzer Teilgebiet mit den wenigsten Rentnern (anteilig an der Gesamtbevölkerung) beschrieben werden. Die suburbanisieren Randstadtteile kreisen in den allermeisten Fällen um den städtischen Durchschnittswert von 28 %. Rabenstein (26 %) und Reichenbrand (25 %) liegen minimal darunter, Adelsberg (28 %) oder Einsiedel (27 %) stimmen mit dem städtischen Wert überein; Glösa-Draisdorf oder Harthau mit 29 % liegen leicht darüber. Der Einfluss von Altenpflegeheimen darf in einigen Fällen (gerade bei kleineren Stadtteilen) nicht ignoriert werden. Ausnahmen von den durchschnittlichen Rentneranteilen in Chemnitz sind im Kontext der Randgebiete Euba (20 %), Rottluff (21 %) und Reichenhain (22 %).
Das mit weitem Abstand höchste Maß an Ungleichverteilung in Chemnitz fand sich 2016 bei der ethnischen Segregation. Abgebildet wird diese über die Verteilung allgemein der ausländischen Bewohnerschaft innerhalb der Stadt oder über spezielle Untergruppen, so z. B. die Flüchtlinge und Asylbewerber.
Zum Stichtag 31.12.2016 waren 16.900 Einwohner ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Chemnitz wohnhaft. Der gesamtstädtische Ausländer-Anteil betrug somit 6,8 %, wobei zwischen den 39 Stadtteilen immense Unterschiede zu registrieren sind. Die stadtweit höchsten Ausländeranteile verzeichneten Bernsdorf und das Zentrum mit jeweils 21 %. Der Stadtteil Furth mit 27 % kann als statistischer Sonderfall betrachtet werden: hier trifft ein bevölkerungsschwacher Stadtteil (ca. 1.500 Einwohner) auf Sammelunterkünfte für Asylbewerber. Weitere zweistellige Ausländeranteile sind auf dem Sonnenberg (13 %) und im Lutherviertel (11 %) gegeben. Neben den fünf genannten existieren weitere sieben Stadtteile mit 6 % bis 9 % Ausländeranteil, die dem städtischen Durchschnittswert relativ nah kommen: Dazu zählen Ebersdorf (8 %), Schloßchemnitz (8%) Morgenleite (8 %), Altchemnitz (7 %.) Kaßberg (6 %), Kappel (6 %) und Helbersdorf (6 %). Andere, mit großen Mietwohnungsbeständen versehene Stadtteile wie Hilbersdorf, Altendorf, Kapellberg, Hutholz, Yorckgebiet, Gablenz weisen mit 4 % bis 5 % dagegen schon unterdurchschnittliche Anteile auf. An den Rändern der Stadt gehen die Anteile der ausländischen Bewohnerschaft deutlich zurück. In 24 Chemnitzer Stadtteilen liegen die Werte bei 2 % und weniger – bei 11 gar unter 1 % (d. h. maximal 0,9 %). Große bevölkerungsreiche Stadtteile wie Adelsberg (ca. 6.500 Einwohner, Ausländer-Anteil 0,9 % Ende 2016) oder Rabenstein (ca. 4.600 Einwohner; Ausländeranteil 0,8 %) mit geringsten Ausländerquoten zeigen die Spaltung der Stadt im Kontext der Wohnstandorte der ausländischen Bevölkerung. 45 % aller in Chemnitz lebenden Ausländer wohnten 2016 in den drei Stadtteilen Bernsdorf, Zentrum und Sonnenberg (7.678). Hier sind vor allem ausländische Studenten, aber auch viele Flüchtlinge und Asylbewerber wohnhaft.
Die soziale Segregation in Chemnitz hat leicht zugenommen. Alle Indikatoren, die auf Problemlagen hinweisen, sind leicht, aber kontinuierlich gestiegen, d. h. die disproportionale Verteilung zugenommen. Die Leistungsempfänger nach SGB II / XII konzentrieren sich heute mehr in einigen Stadtteilen als noch vor 10 Jahren. Obwohl die Gesamtzahl deutlich abgenommen hat (-25 % zwischen 2007-17), sind die Anteile in den Stadtteilen weiterhin unterschiedlich. Ein Abgleich der höchsten und niedrigsten Werte im Jahr 2007 zeigt, dass der Sonnenberg den 14fachen Hartz IV-Anteil wie Kleinolbersdorf-Altenhain (31,3 % zu 2,3 %) aufwies. 10 Jahre später war der Faktor auf 35 angewachsen (Sonnenberg 28,2 % / Adelsberg 0,8 %). Die Werte zeigen aber auch, dass Segregation eine sozialwissenschaftliche Dimension ist und man durchaus zu anderen Urteilen kommen kann. Während der eine Forscher auf dem gestiegenen Faktor "herumreitet", freut sich der andere über die rückläufige Tendenz der Anteile in den Stadtteilen. Ein paar wenige Stadtteile haben von rückläufigen Leistungsempfänger-Zahlen (nach SGB II / XII) nicht profitieren können und so statistisch zur steigenden Segregation beigetragen. Zwei Stadtteile im Fritz-Heckert-Gebiet sind hier die auffälligsten Beispiele: in Morgenleite reduzierte sich binnen 10 Jahren der Anteil nur von 23,7 % auf 22,8 %, in Helbersdorf von 16,4 % auf 15,8 %. Benachbarte Plattenbau-Stadtteile entwickelten sich deutlich besser und folgten dem gesamtstädtischen Trend. Im Hutholz sanken die Werte von 22,8 % auf 15,0 %, während in Markersdorf die Anteile von 20,0 % auf 14,8 % zurückgingen. Vergleichbare Entwicklungen lassen sich für die Indikatoren „Arbeitslosigkeit“ und „Bedarfsgemeinschaften nach SGB II“ festhalten. Beide Gruppen waren im Jahr 2016/17 ungleich verteilter im Stadtgebiet zu finden als noch vor 10 Jahren.
Die demographische Segregation zeigt sich kein eindeutiges Bild. Im Zeitraum 2007 bis 2016 stiegen die gemessen Segregationsindex-Werte bei zwei Indikatoren an, bei anderen dagegen gingen sie zurück. Rückläufige Segregationstendenzen ließen sich für die Bevölkerungsgruppen »Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre«, »Haushalte mit Kindern« und »Erwachsene zwischen 30 und 44 Jahren feststellen«. Diese drei Gruppen befinden sich - betrachtet man sie unter dem Aspekt des Lebenszyklus - in Beziehungen zueinander, sodass deren ähnlich verlaufende Entwicklung nicht überrascht. Das ohnehin schon geringe Ausmaß an Segregation verringerte sich leicht (gemessen über die Segregationsindex-Werte) und nimmt unten all den benannten Aspekten die geringste Werte ein. Dass geringe Segregation von Altersgruppen kein Naturgesetz ist, zeigt die Entwicklung der Gruppen der 18-29Jährigen und der Senioren ab 65 Jahren. Beide Werte sind angestiegen und erreichen Ausprägungen, wie sie vor 10 Jahren statistisch (in der Form) nicht abzusehen waren.
Am deutlichsten erhöhte sich die Segregation der jungen Erwachsenen. Lag der Segregationsindex-Wert im Jahr 2007 in Chemnitz mit 15 nicht weit entfernt vom Wert für Haushalte mit Kindern (2007: 14,4), so überschritt er 2012 erstmals die 20erGrenze und lag Ende 2016 bei 24,4. Der Anstieg wird vor allem durch die Entwicklung in den Stadtteilen Bernsdorf und Zentrum befeuert. Vor allem Studenten in Bernsdorf und Flüchtlinge und Asylbewerber im Zentrum haben zu diesem Segregationswachstum geführt. In Bernsdorf erhöhte sich die Zahl der 18-29Jährigen binnen 10 Jahren um knapp 50 % (entsprechend mehr Studenten weist die TU Chemnitz inzwischen auf); im Zentrum lebten 2016 53 % mehr junge Erwachsene als 2007. Die Gesamtzahl der jungen Erwachsenen in Chemnitz im selben Zeitraum reduzierte sich dagegen um 12 %. Die Daten zeigen, dass nicht jedes Wachstum der Segregation immer gleich als Problem betrachtet werden muss: steigende Zahlen an Studierenden, die sich natürlich in der Nähe ihrer Universität niederlassen, sind so ein Beispiel.
Zu einem anderen Urteil kam man bei der Bewertung der steigenden Segregation der Rentner in Chemnitz kommen. Deren ungleiche Verteilung im Stadtgebiet nahm zwischen 2007 und 2016 kontinuierlich; es kommt in einigen Stadtteilen zu einer immer stärkeren Konzentration an alten Menschen. Vor allem Stadtteile mit viel bzw. ausschließlich DDR-Wohngebäudesubstanz sind hiervon „betroffen“. Steigende Seniorenanteile in vielen Großsiedlungen (Flemming-Gebiet, Beimler-Gebiet, Yorckgebiet, Teile vom Fritz-Heckert-Gebiet) sind vor allem für die Vermieter ein Thema, weil diese vor der Herausforderung stehen, dort mittelfristig einen fälligen Generationswechsel zu bewerkstelligen. Zwei Aspekte sind hierbei zu beachten: Das ältere Klientel hat andere Erwartungen und Wünsche an das Wohnen (altersgerechte Strukturen wie z. B. Fahrstuhl oder eine schwellenfreie Dusche) als die junge Generation. Konzentriert sich ein Vermieter ausschließlich auf die Erwartungen der aktuellen Bewohnerschaft, kann das langfristig der Wiedervermietbarkeit der Wohnungen an junge Mieter im Wege stehen. Geht ein Vermieter jetzt bereits einen anderen Weg und fokussiert auf neue (jüngere) Zielgruppen, kann das die aktuellen Bestandsmieter wiederum verärgern. Dieses Problem entsteht vor allem in wenig durchmischten Gebieten, wie sie in Chemnitz aktuell vor allem in den Großsiedlungen vorhanden sind. Es wird spannend sein zu beobachten, wie die Vermieter in Chemnitz, insbesondere die Genossenschaften, diesen Umbruch in den nächsten Jahren vollziehen werden. Bei erfolgreicher Umsetzung müsste die Segregation der Rentner dann wieder ein Stück weit abnehmen.
Die ethnische Segregation hat sich - ausgehend von hohen Werten - leicht reduziert, ist aber weiterhin die höchste der drei Vergleichsdimensionen. Nachdem die Indexwerte zwischen 2007 und 2014 auf konstant hohem Niveau verharrten, kam es beginnend ab 2016 (in Folge der Verteilung der Asylbewerber und Flüchtlinge) in Chemnitz zu einer ausgewogeneren Verteilung der ausländischen Bevölkerung, die sich jedoch weiterhin nur auf bestimmte Stadtteile konzentriert. Vor allem Stadtteile mit geringem Anteil an Mietwohnungen weisen nach wie vor geringste Ausländeranteile auf. Die Entwicklung der nächsten Jahre wird maßgeblich davon bestimmt werden, wie die Gruppe der Flüchtlinge und Asylbewerber inkl. deren Familien in Chemnitz integriert werden kann, ob diese infolge von eigenem Erwerbseinkommen eigene Wohnstandortentscheidungen treffen können und somit eventuell auch in anderen als den bisherigen Stadtteilen wohnen werden. Zumindest in innerstädtischen und zentrumsnahen Stadtteilen sowie in Plattenbaubereichen kann dies gelingen, da die Mietunterschiede zwischen den Wohngebieten relativ gering sind. Auf der anderen Seite kann es natürlich auch passieren, dass bestimmte Stadtteile zu beliebten und bevorzugten Wohngebieten bestimmter ausländischer Gruppen werden, da hier bereits viele Landsleute wohnen. Bei mehr als 20.000 Ausländern in Chemnitz (Stand 06/2018) haben inzwischen viele Nationalitäten ausreichend große Gruppen gebildet, sodass eine Bündelung in bestimmten Stadtteilen möglich sein könnte. Man wird die Entwicklung abwarten müssen; Stand heute sind mehrere Optionen denkbar und realistisch.